Barrierefreiheit im Gaming: Branche will Inklusion leben?
In den letzten Jahren wurden viele Anstrengungen betrieben, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zu Videospielen zu ermöglichen. Sei es eine Sehbehinderung, Epilepsie, Tinnitus, generelle Hörschädigung, sogar motorische Beeinträchtigungen - man versucht immer mehr allen Menschen das Spielerlebnis so näher zu bringen, dass sie es genauso erleben, wie es für sie angenehm und nicht zu anstrengend oder belastend ist, keine Schmerzen verursacht oder sonstige Symptome/krankheitsbedingte Beeinträchtigungen das Spielvergnügen trüben. Man scheint so langsam auf die Personengruppen einzugehen, hört ihre Bedürfnisse, spricht ggf. mit speziellen Vertretern aus verschiedenen Patientenorganisationen für eben jene Beeinträchtigungen und bindet sie in die Entwicklung mit ein. Zumindest ist dies in vielen Fällen so und das ist großartig und man kann hier nicht genug Lob dafür aussprechen! Aber so lobenswert es ist, dass viele Branchenvertreter sich bereits dafür stark machen, ist dennoch auch heute noch sehr viel Luft nach oben.
Spezielle Controller für individuelle Bedürfnisse
Ich hatte, als ich 2018 beruflich auf der Gamescom unterwegs war, die Gelegenheit den Xbox Adaptive Controller von Microsoft aus der Nähe zu bestaunen, als er erstmals der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde.
Ich finde es immer noch extrem beeindruckend, wie damit Beeinträchtigungen umgangen und mit den teilweise recht begrenzten motorischen Möglichkeiten der Gamer*innen komplexe Videospiele uneingeschränkt spielbar werden. Der Controller wurde u.a. in Zusammenarbeit mit speziellen Patientenorganisationen wie z.B. The AbleGamers Charity, The Cerebral Palsy Foundation, Craig Hospital, SpecialEffect und Warfighter Engaged entwickelt. Außerdem wurde eng mit Spieler*innen zusammengearbeitet, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Mehr dazu findest du im damaligen Blogbeitrag auf Xbox.de von Phil Spencer, Head of Xbox (in einer deutschen Übersetzung) bzw. in dem offiziellen Ankündigungsvideo von 2018 auf Youtube.
Und hier kannst du den Xbox Adaptive Controller mal in Aktion erleben: Dennis Winkens zeigt wie der Controller von querschnittsgelähmten Menschen genutzt werden kann.
Dieser Controller hat meiner Meinung nach die Inklusion im Gaming stark vorangetrieben und ein klares Zeichen gesetzt, denn danach wurde es gefühlt immer mehr und auch Sony Playstation begann einen ähnlichen Controller zu entwickeln, den sie im Dezember 2023 für die PS5 veröffentlichten: Der Access-Controller. Ganz ähnlich wie der Xbox Adaptive Controller ist auch dieser sehr anpassbar und modular aufgebaut. Sony hat in der Entwicklung des Controllers versucht, alle Hürden für beeinträchtigte Menschen so gering wie möglich zu halten, angefangen bei der Verpackung des Controllers. Diese soll einhändig und mit geringer Kraftanstrengung geöffnet werden können. Find ich großartig, weil ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass so etwas gerne einmal vergessen wird.
Der Xbox Adaptive Controller hat damals schon gezeigt, dass es nicht nur möglich ist, einen anpassbaren Controller speziell für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln, sondern dass auch ein echter Bedarf dafür vorhanden ist und eine nicht zu unterschätzende Marktgröße. Denn sind wir einmal ehrlich, nur aus Nächstenliebe entwickeln solche Großkonzerne selten etwas, das so hohe Entwicklungskosten nach sich ziehen würde, wie eben solch ein spezieller Controller, wenn dadurch kein entsprechender Umsatz generiert werden kann. Dass der Markt entsprechend groß ist, bestätigt auch eine repräsentative Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2022 im Auftrag des Verband der deutschen Game-Branche (game.de), in der 2.046 Gamer*innern über 16 Jahren befragt wurden.
Nicht nur Hardware ist wichtig: Auch Software muss barrierefrei sein
Neben speziellen Controllern gibt es inzwischen auch weitere Möglichkeiten die Spielumgebung anzupassen. Bereits Betriebssysteme von Spielekonsolen und PCs (z.B. Windows) sind stark auf Barrierefreiheit ausgerichtet und bieten eine Reihe an Optionen, welche die Bedienung der Benutzeroberfläche abgestimmt auf verschiedene Beeinträchtigungen vereinfachen sollen - sei es dass Kontraste angepasst werden können, oder Bildschirmtext vorgelesen werden kann oder oder oder. Es wird inzwischen an wirklich vieles gedacht, und so von vornherein der Zugang ermöglicht oder zumindest vereinfacht.
Welche Barrierefreiheitsoptionen auch “Accessibility” genannt von den beiden marktführenden Spielekonsolen angeboten werden, findet ihr hier:
- Playstation https://www.playstation.com/de-de/accessibility/
- Xbox https://www.xbox.com/de-DE/community/for-everyone/accessibility
Barrierefreie Games: Das Kernstück der Accessibility
Aber damit nicht genug: In vielen Spielen gibt es ebenfalls immer mehr Einstellmöglichkeiten, um das Spielerlebnis an die Bedürfnisse und Einschränkungen der Spieler*innen anzupassen. Ein besonders vorbildliches Beispiel ist dabei Naughty Dog’s “The Last of Us: Part II”, das insgesamt über 60 verschiedene Barrierefreiheitsfunktionen bietet. Spieler*innen können zunächst aus 3 verschiedenen vordefinierten Konfigurationen wählen und diese anschließend noch weiter an ihre individuellen Beeinträchtigungen anpassen: Barrierefreies Sehen, barrierefreies Hören und sogar barrierefreie Motorik. Die Fülle an Optionen, was alles hier ermöglicht wurde, ist meiner Meinung nach bisher beispiellos, aber ich hoffe sehr, dass es andere Studios inspiriert ähnliche Wege zu gehen. Die komplette Liste aller Einstellmöglichkeiten in “The Last of Us: Part II” findet ihr hier: https://www.playstation.com/de-de/games/the-last-of-us-part-ii/accessibility/
Außerdem hat Naughty Dog in der Neuauflage des ersten Teils der Spielereihe (“The Last of Us: Part I”), diese Accessibility-Optionen aus Part II noch weiter ausgebaut mit Audiobeschreibungen für Filmsequenzen für Menschen mit Sehbinderung und ein haptisches Feedback über den DualSense Wireless-Controller während Dialogen um Gehörlosen ein Gefühl für das Gesprochene zu vermitteln wie z.B. die Betonung. Mehr dazu erfahrt ihr hier https://blog.de.playstation.com/2022/08/26/the-last-of-us-part-i-komplette-liste-der-barrierefreiheitsfunktionen/
Auch in vielen anderen Spielen finden sich, wenn auch nicht so ausgeprägt wie in The Last of Us, ähnliche Optionen. Ich bin aus Zufall erst neulich darüber gestolpert, als ich Ubisofts “Avatar: Frontiers of Pandora” auf meiner Xbox Series X installiert habe. Direkt beim Start des Spiels wird man durch die Einstellungen geführt. So kann man u.a. Untertitel einstellen, oder eine spezielle Tinnitusoption für Explosionen aktivieren (welche hohe Tonfrequenzen rausfiltert) oder zwischen verschiedenen Modi für Farbblindheit wählen.
Barrierefreiheit ist aus dem Gaming nicht mehr wegzudenken und wird immer weiter ausgebaut. Auch wenn es hier und da immer noch mehr sein könnte, ist das eine schöne und sehr wichtige Entwicklung, wie ich finde. Nicht nur ermöglichen barrierefreie Games die Inklusion, sondern fördern oftmals auch kognitive Fähigkeiten und die motorische Koordination.
Übrigens gibt es einen sehr empfehlenswerten Blog von Melanie Eilert, die selbst mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) lebt, leidenschaftliche Gamerin ist und darüber bloggt. Sie prüft dabei die Games auf ihre Barrierefreiheitsoptionen und beschreibt diese ausführlich, direkt aus Sicht eines Menschen mit Behinderung. Schaut da unbedingt mal vorbei: https://meilert.net
Auch sehr empfehlenswert ist ein Besuch auf der Seite der Initiative "Gaming ohne Grenzen", wenn ihr euch ausführlicher mit dem Thema befassen möchtet.
Gaming ist für alle Menschen da und niemand sollte ausgeschlossen werden. Das schließt nicht nur Menschen mit Behinderungen ein, sondern auch Diverse oder Transpersonen. Auch hier wird immer mehr getan, um auch diese Personengruppen zu berücksichtigen und einzubinden. Beispielsweise kann die Anrede für Spieldialoge gewählt werden, die Stimme oder Körperbau der eigenen Spielfigur angepasst werden etc. Auch solche Dinge sind sehr wichtig, auch wenn sie im ersten Moment unscheinbar wirken, aber es ermöglicht diesen Menschen sich mit der Spielfigur besser zu identifizieren.
Aber wichtiger noch: Diese Einstellmöglichkeiten, ob nun für Menschen mit Beeinträchtigungen oder für Diverse oder Transpersonen, zeigen auch direkt, dass man an sie denkt, sie nicht vergisst oder ausschließt. Und genauso sollten auch wir denken und handeln.
Quellen