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Mental Health & Videospiele: Wissenschaftlich hinterfragt

Mental Health & Videospiele: Wissenschaftlich hinterfragt

Am 21. Mai 2024 ist es endlich soweit, der heiß erwartete zweite Teil der beliebten Hellblade-Reihe wird veröffentlicht: “Senua's Saga: Hellblade 2”. Wie vielen vermutlich bekannt sein dürfte, ist der zentrale Kniff der Story, dass die Protagonistin Senua nicht nur eine Kriegerin der Pikten zur Zeit der Eroberung Englands durch die Römer und Wikinger ist, sondern auch an einer schweren psychotischen Störung leidet, die sich u.a. in audiovisuellen Halluzinationen äußert. Anlass genug, sich einmal dieses und andere Videospiele zum Thema “Mental Health”, deren mögliche Wirkungen oder gar therapeutische Effekte und den aktuellen Status Quo einmal genauer anzusehen.

Psychische Erkrankungen bzw. “Mental Health” sind ein weites Feld und ich glaube, wir alle kennen mindestens eine Person, die irgendeine psychische Erkrankung hat oder hatte und sei sie noch so unscheinbar, oder man ist sogar selbst betroffen.

Welche Games gibt es mit dem Fokus “Mental Health”, gibt es neben Hellblade noch andere? Und wie sieht die wissenschaftliche Seite von all dem aus? Das und vielleicht etwas mehr habe ich versucht in diesem etwas groß geratenen Artikel zu beleuchten. Dann lasst uns mal anfangen. Aber zuerst....

Da dieser Artikel sehr lang geworden ist, hier ein kleines Inhaltsverzeichnis:

  1. Rationale zu psychischen Erkrankungen: Wie viele sind betroffen?
  2. Welche Videospiele mit dem inhaltlichen Fokus “Mental Health” gibt es neben Hellblade noch?
  3. Können “normale” Videospiele helfen, die mentale Gesundheit zu verbessern?
  4. Gibt es eigentlich schon Spiele, die tatsächlich in der Therapie von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden?
  5. Nach dem kleinen Ausflug zum Status Quo in Sachen Mental Health: Nochmal zurück zu Hellblade
  6. Fazit und Schlussworte

Du bist nicht allein!
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Es gibt nichts, für was es keine Lösung gibt! Sprich mit anderen über deine Probleme!  

Du bist wichtig! Gib dich nicht auf!

Die Menschen von der Seelsorge sind speziell geschult und jeder Kontakt ist anonym und unverbindlich. Sie können eine erste wichtige Anlaufstelle sein! Hier sind einige Seelsorge Kontakte sortiert nach Ländern. Bitte trau dich und nimm es in Anspruch!

Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
(rund um die Uhr erreichbar)

Weitere Nummern für verschiedene Sorgen- und Beratungstelefone findest du hier (z.B. Gewalt gegen Frauen, Depression, sexueller Missbrauch etc.).

Du möchtest nicht telefonieren? Es gibt auch andere Wege, z.B. Online per Chat oder Mail. Informationen findest du hier: https://online.telefonseelsorge.de/

Telefonseelsorge: 143 (Dargebotene Hand) oder 147 (Jugend-Seelsorge)

Du möchtest nicht telefonieren? Es gibt auch andere Wege, z.B. Online per Chat oder Mail. Informationen findest du hier: https://www.143.ch/ bzw. hier https://www.147.ch/ 

Telefonseelsorge: 142

Du möchtest nicht telefonieren? Es gibt auch andere Wege, z.B. Online per Chat oder Mail. Informationen findest du hier: https://www.telefonseelsorge.at/ 

Rationale zu psychischen Erkrankungen: Wie viele sind betroffen?

Bei meiner Recherche fiel mir auf, dass es offenbar gar nicht so einfach ist, aktuelle und verlässliche Daten zum Thema “Status Quo in Sachen psychischer Gesundheit” zu finden. Aber die kurze Antwort lautet: Sehr viele sind davon betroffen!

Man darf auch nicht vergessen, dass man hier mit einer sehr hohen Dunkelziffer rechnen muss, weil zum einen laut der deutschen Depressionshilfe zwei Drittel der Betroffenen sich im Schnitt erst nach 30 Monaten professionelle Hilfe suchen, also erst dann eine Diagnose gestellt und sie als “erkrankt” erfasst werden können. Zum anderen ist das auch heute noch eine stark stigmatisierte und tabuisierte Erkrankung, weshalb einige das einfach verschweigen aus Angst vor Ausgrenzung oder beruflichen Konsequenzen etc.

Infografik der deutschen Depressionshilfe - Depression: Der lange Weg zur Hilfe

Psychische Erkrankungen wie Depressionen: Noch immer stark stigmatisiert 

  • 75% der Befragten geben an, dass sie Vorurteile im Alltag und Beruf erleben 
  • 83% der Befragten sagen sogar aus, dass sie die Stigmata als hinderlich für ihre Genesung empfinden

 

Quelle: Bevölkerungsrepräsentative Studie des Vorsorgeunternehmens Swiss Life Deutschland, Stand 2022

Viele der gefundenen Daten zur Häufigkeit der Erkrankung stammen teilweise noch aus 2016 (u.a. Deutsche Depressionshilfe) oder 2018 (WHO). Andere Daten gehen stark auseinander - beispielsweise hat die oben genannte Studie von Swiss Life Deutschland ergeben, dass ca. 37% der deutschen Bevölkerung im Jahr 2022 von einer Depression betroffen sind. Laut RKI sind es im Februar 2024 aber lediglich ca. 21,9%.

Dass es zu solchen Unterschieden kommt, liegt an der jeweils zugrundeliegenden Anzahl der tatsächlich Befragten und der Methoden der Umfrage bzw. der Auswertung. 

Vorstellung der beiden Studien/Befragungen

Studie von Swiss Life Deutschland aus dem Jahr 2022

Die Daten von Swiss Life Deutschland wurden von “YouGov Deutschland” mittels einer Online-Umfrage durchgeführt. Swiss Life Deutschland ist ein führender Anbieter von Finanz- und Vorsorgelösungen mit Hauptsitz in der Schweiz (Zürich). Der Fokus der Umfrage scheint deshalb auch auf die Berufssituation und spezielle Vorsorgeangebote des Unternehmens zu liegen (Arbeitskraftabsicherung). Im Juni 2022 haben 2.865 Personen teilgenommen. Wie diese ausgewählt wurden, ob z.B. spezielle Personenkreise ausgeschlossen wurden oder sich darauf fokussiert wurde, geht leider nicht aus der Beschreibung der Studie hervor. In dieser Umfrage geht man davon aus, dass ca. 37% der deutschen Bevölkerung von Depressionen betroffen sind - das entspräche, wenn man sich auf den aktuellen Bevölkerungsstand von Deutschland bezieht, ca. 25,8 Mio. Menschen (ab 18 Jahren).

Depression und mentale Gesundheit in Deutschland - Infografik

 

Monatliche Befragung des RKI seit 2019 (aktuellste Daten: Februar 2024)

Die aktuelle Erhebung des Forschungsprojektes des RKI “nationale Mental Health Surveillance” (MHS) wird monatlich seit 2019 durchgeführt. Seit 2022 betrifft dies ca. 3.000 per Zufallsstichproben ausgewählte, erwachsene Bundesbürger*innen, wovon 1.000 Menschen zu Angstsymptomen und 2.000 Menschen zu depressiven Symptomen telefonisch befragt werden. Das RKI arbeitet dabei mit einem externen Markt- und Sozialforschungsinstitut (USUMA GmbH) zusammen. Es werden also neben depressiven Symptomen u.a. auch Angstsymptome beobachtet.

Hier geht man davon aus, dass im Februar 2024 die deutsche Bevölkerung zu 21,9% an depressiven Symptomen und 14,8% an Angstsymptomen leidet - das entspräche, wenn man sich auf den aktuellen Bevölkerungsstand von Deutschland bezieht, ca. 15,3 Mio. bzw. 10,3 Mio. Menschen (ab 18 Jahren). In dem online zugänglichen und interaktiven Dashboard des RKI, kann man sich die Zunahme der Betroffenen in der deutschen Bevölkerung seit 2019 ansehen. 2019 war der Wert noch bei 9,9% für depressive Symptome bzw. 5,7% für Angstsymptome im Jahr 2021 (jeweils erster Datenpunkt).

RKI Mental Health Surveillance Dashboard

 

Die Unterschiede der Daten sind nicht unerheblich, aber es zeigt folgende Dinge: 

  1. Man kann nicht einfach Daten von bislang vertrauenswürdigen Institutionen als gegeben hinnehmen (in diesem Fall z.B. WHO oder Deutsche Depressionshilfe) - auch hier muss genau geprüft werden, worauf man sich bezieht, beispielsweise aus welchen Jahren die Daten stammen.
  2. Methoden zu nennen, wie man zu Daten gelangt, ist essentiell für die Beurteilung der Datenverlässlichkeit!
  3. Mögliche Interessenkonflikte zu kennen bei gewissen Umfragen, ist ebenso wichtig.
  4. Egal ob es 37% oder 21,9% sind - es sind sehr viele Menschen in Deutschland von Depressionen betroffen - genauer gesagt: zwischen 15 und 25 Millionen Erwachsene.
  5. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, welchen Daten er mehr vertraut. Dafür sind alle gefundenen Quellen hier genannt, damit ihr selbst entscheiden könnt.

Übrigens in der Schweiz ist die Zahl der Betroffenen prozentual gesehen sogar höher als in Deutschland: Laut der Schweizerischen Stiftung “Pro Mente Sana”, welche die Interessen von psychisch beeinträchtigten Menschen in der Schweiz vertritt, gaben 38% der Schweizer*innen im Jahr 2023 an, mittel bis stark psychisch belastet zu sein (das entspricht wenn man das auf die aktuelle Bevölkerungszahl der Schweiz bezieht ca. 3,4 Millionen Schweizer). Zugrunde gelegt werden hierbei verschiedene Umfragen, Berichte und Statistiken aus dem Jahr 2023.

Infografik der Schweizerischen Stiftung Pro Mente Sana zu Mental Health in der Schweiz 2023
Quelle: Schweizerische Stiftung “Pro Mente Sana”

 

Welche Spiele mit dem inhaltlichen Fokus “Mental Health” gibt es neben Hellblade noch?

Hellblade ist vielleicht das herausstechendste Videospiel zum Thema “Mental Health” bzw. “Psychische Gesundheit”, aber durchaus nicht das einzige und auch nicht das erste, das es bislang zu spielen gibt. Besonders im Fokus stehen bei den aktuellen Videospielen folgende Themen: Einsamkeit, Depressionen und Angststörungen.

Life Is Strange: Before The Storm

Ein episodisches Videospiel, das sich auf den Charakter Chloe Price konzentriert und ein Prequel zum 2 Jahre zuvor erschienenen "Life is Strange" darstellt. Die Entwickler von “Life is Strange” (Deck Nine) und der Publisher Square Enix, haben es sich zur Aufgabe gemacht, Tabus rund um Depressionen zu überwinden und die Spieler dazu zu ermutigen, sich mit mentalen Gesundheitsproblemen auseinanderzusetzen. Sie hoffen, dass die Geschichte Menschen inspiriert, sich ihren schmerzhaften Emotionen zu stellen und offen darüber zu sprechen, wie sie sich fühlen. (Quelle: https://www.bbc.com/news/technology-41152814)

What Remains of Edith Finch

Edith Finch erkundet das Familienanwesen, um die tragischen Geschichten ihrer Verwandten zu entdecken. Jede Geschichte beleuchtet die psychischen Kämpfe der Charaktere, wie Depression und Isolation. Das Spiel behandelt diese Themen einfühlsam und regt zum Nachdenken über Verlust und Trauma an. Es wird für seine künstlerische Darstellung und den Umgang mit schwierigen Themen gelobt.

Sea of Solitude

Kay erkundet eine unter Wasser stehende Stadt und ihre eigenen inneren Dämonen. Das Spiel behandelt Themen der mentalen Gesundheit, indem es Kay’s Selbstzweifel, Unzufriedenheit und Depressionen darstellt. Die nicht-literalen visuellen Darstellungen ermöglichen eine einfühlsame Erfahrung, bei der Kay ihre inneren Kämpfe durch Versöhnung und Verständnis bewältigen muss.

Gris

Ein visuell beeindruckendes Plattformspiel, das die Reise einer jungen Frau durch ihre Trauer darstellt und dabei Themen wie Verlust und Hoffnung erkundet

Under The Waves

Ein emotionales Story-Adventure, das die Geschichte eines Tiefseetauchers erzählt, der mit Verlust, Trauer und Isolation kämpft

Celeste

In diesem Plattformer versucht die Protagonistin Madeline, den namensgebenden Berg Celeste zu erklimmen, während sie sich mit ihren Selbstzweifeln und Ängsten auseinandersetzt

Psychonauts 2

Dieses Spiel erkundet die psychische Gesundheit durch das Abenteuer in den Gedanken verschiedener Charaktere.

The Cat Lady

Ein Adventure-Spiel, das die Geschichte einer depressiven Frau erzählt, die mit dem Übernatürlichen in Kontakt kommt

 

Diese Spiele bieten nicht nur eine fesselnde Spielerfahrung, sondern auch einen tieferen Einblick in die Komplexität und die Herausforderungen, die mit mentalen Gesundheitsproblemen verbunden sind.

Weitere interessante Games zum Thema wurden von der Redaktion “Gamestar” zusammengestellt: 19 Spiele, die sich mit mentaler Gesundheit und Depression befassen

Gamestar Artikel, Stephanie Schlottag, Elena Schulz, Stand: 27.12.2023

 

Können “normale” Videospiele helfen, die mentale Gesundheit zu verbessern?

Kurz gesagt: Ja! Absolut. Es ist dabei sogar völlig egal, was für ein Spiel es ist. Es muss dafür nicht speziell das Thema mentale Gesundheit in den Fokus nehmen, es reicht, dass es Spaß macht, ablenkt, und einen auf andere Gedanken bringt. Wie nachhaltig das auf Depressionen wirken könnte, könnten diverse klinische Studien zeigen, jedoch ist hier die Studienlage aktuell noch recht dünn.

Eine aktuelle Studie der Uni Bonn aus dem Jahr 2023, an der insgesamt 46 Personen mit diagnostizierter Depression teilnahmen, könnte bereits belegt haben, dass Spiele generell eine positive Wirkung auf den Verlauf einer depressiven Störung haben können. In der Studie spielte eine Versuchsgruppe Super Mario Odyssey, eine andere Versuchsgruppe nutzte eine klinisch evaluierte, computergestützte Behandlung für kognitives Training (“COGPACK®”) und eine dritte Versuchsgruppe erhielt eine klassische Psychotherapie inkl. Medikamente. Die Interventionsdauer (Versuchszeitraum) der randomisierten klinischen Studie belief sich jeweils auf 6 Wochen. Die Versuchsgruppe, die Super Mario Odyssey spielte, schnitt von allen 3 Gruppen am besten ab. Probanden dieser Gruppe zeigten nach diesen 6 Wochen im Vergleich zu den anderen Gruppen nicht nur signifikant weniger Symptome einer Depression, sie waren auch sehr viel motivierter, die Behandlung fortzuführen.

Die Ergebnisse dieser Studie sind aufgrund der recht kleinen Anzahl der Probanden zwar mit Vorsicht zu genießen, aber sie zeigt durchaus eine klare Tendenz, dass Videospiele eine positive Wirkung haben können.

Das deckt sich in gewissem Maße auch mit einer 10 Jahre früher durchgeführten Studie, die ebenfalls eine Versuchsgruppe Videospiele spielen ließ, die andere Versuchsgruppe durfte jedoch lediglich auf der Webseite des National Institute of Mental Health zum Thema Depression surfen. Dass es hier einen signifikanten Unterschied gab zu Gunsten der Videospielgruppe, finde ich nun aber nicht sonderlich überraschend.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2017 konnte belegen, dass das Spielen von Tetris schwer traumatisierten Menschen dabei half, das Auftreten von Flashbacks zu reduzieren und sie abzuschwächen. Das könnte Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen also sehr hilfreich sein. Genauer wird dies in einem Artikel des Deutschen Ärzteblatt beschrieben.

 

Eine Metaanalyse bzw. ein “systematisches Review” im Jahr 2020 ergab, dass 12 von 13 untersuchten Studien zeigten, dass nur 30 Minuten spielen ausreichen können, Symptome von depressiven Störungen, Stress oder Angststörungen zu lindern.

Pine R, Fleming T, McCallum S, Sutcliffe K. The Effects of Casual Videogames on Anxiety, Depression, Stress, and Low Mood: A Systematic Review. Games Health J. 2020 Aug;9(4):255-264. doi: 10.1089/g4h.2019.0132. Epub 2020 Feb 13. PMID: 32053021.

 

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Symptome, ausgelöst durch starken psychischen Stress, durch “Casual Gaming” gelindert werden können. Ich habe dazu diverse Mobile Games im Bett gezockt, damit ich mein Gedankenkarussell in den Griff bekam und einschlafen konnte. Gespielt habe ich nichts besonderes: Wimmelbildspiele, Mahjong, Sudoku etc. Einfach etwas, das ablenkt. Die Wirkung zeigte sich oft recht schnell bei mir: Die Atmung wurde gleichmäßiger, ruhiger, der Puls ebenfalls. Ein unangenehmer Tinnitus, der das Blutrauschen im Ohr “hörbar” macht, ausgelöst durch Stress, ging zurück oder verschwand sogar ganz. Definitiv eine Verbesserung. Ob das für andere Menschen ebenso gilt, kann ich natürlich nicht sagen.

Ich möchte hier auch ausdrücklich betonen, dass niemand denken sollte, eine herkömmliche Therapie wäre durch “normales” Videogaming (Casual Games und AAA-Titel) ersetzbar. Das halte ich für ausgeschlossen. Ich denke, dass es eine gute Ergänzung zur herkömmlichen Therapie sein und dabei zusätzlich einen positiven Effekt erzielen kann.

 

Besonders Games, die eine psychische Erkrankung speziell thematisieren, können die Therapie ergänzen und diese unterstützen - sie aber nicht ersetzen. So sieht das auch die Psychologin Jessica Kathmann, die von der Website “watson.de” zum Thema interviewt wurde. Psychische Erkrankungen seien auch viel zu individuell, als dass ein generisches Spiel ausreichend helfen könnte bei jedem Patienten, ist Frau Kathmann überzeugt. In gewissem Maße kann es aber helfen, die eigene Erkrankung besser zu verstehen.

Gerade, weil es vielen Menschen mit Depressionen schwerfällt, ihre Gefühlswelt in Worte zu fassen, kann ein Spiel als Aufhänger dienen.

Psychologin Jessica Kathmann in einem Interview auf watson.de

Außerdem können diese Spiele dabei helfen, die psychischen Erkrankungen, Gefühle und Stimmungen erfahrbar, erlebbar und nachvollziehbar zu machen für Menschen, die bisher keinen oder nur wenig Bezug dazu hatten. Dadurch können Sie Aufklärungsarbeit leisten und dazu beitragen, ein besseres Bewusstsein für diese Art der Erkrankungen zu schaffen, damit auch mit vorhandenen Stigmata und Tabus aufräumen zu können. Es wird “normaler”, weil das Thema häufiger auftaucht und behandelt wird. Manche Menschen, die selbst darunter leiden, fühlen sich mitunter “gesehen” und verstanden, können vielleicht sogar Dinge damit verarbeiten, die ihnen selbst widerfahren sind. 

Aber: Es kann durchaus auch negative Auswirkungen haben und Dinge triggern, die den Krankheitsverlauf verschlimmern können. Wie Frau Kathmann in dem Interview schon sagte: Gerade psychische Erkrankungen sind unglaublich individuell und deshalb muss jeder für sich selbst und mit Hilfe von Fachpersonen entscheiden, was helfen kann.

Weitere Informationen dazu, besonders aus wissenschaftlicher Sicht, bezogen auf zwei bekannte Videogames: https://paidia.de/playing-with-depression-die-darstellung-und-rezeption-von-betroffenen-in-life-is-strange-und-what-remains-of-edith-finch/ 

Auch zu VR gibt es entsprechende Untersuchungen in Bezug auf die Therapie von Menschen mit Depressionen

Studie der Standford University aus 2024

So wurde in einer aktuellen Studie der Standford University aus 2024 herausgefunden, dass VR-Erlebnisse genauso wirken können wie reale. So wurde einer Versuchsgruppe ein VR-Programm gezeigt, in dem sie Tischtennis und Minigolf spielten, Ausflüge in fremde Städte unternahmen oder Shows besuchten. Die andere Versuchsgruppe unternahm real ähnliche Dinge. Die Verbesserung der depressiven Symptome war bei beiden Versuchsgruppen nahezu identisch. Das kann bedeuten, dass Menschen, die aus welchen Gründen auch immer das Haus nicht verlassen können oder nicht wollen, durch solche VR-Programme trotzdem ähnliche Therapie-Erfolge erzielen können, ohne das Haus verlassen zu müssen.

Gibt es eigentlich schon Spiele, die tatsächlich in der Therapie von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden?

Auch hier lautet die kurze Antwort: Ja! Aber, es handelt sich hierbei nicht um Games, die mit der Qualität eines Hellblades oder eines anderen bisher genannten Games verglichen werden können. Die Spiele, die u.a. auf therapeutischen Nutzen abzielen, werden gemeinhin “Serious Games” genannt und sind damit Teil einer ganz eigenen Sparte. Solche Serious Games gibt es allerdings für viele verschiedene Anwendungsbereiche. Der Begriff wird allgemein für Spiele verwendet, die einen “ernsten” Hintergrund haben, z.B. zur Therapie von Krankheiten oder zur Bildung.

Zur Therapie von Depressionen sind mir bislang folgende Serious Games bekannt:

Depression Quest

Depression Quest bietet ein reines Textadventure ohne wirkliches Design, sehr nüchtern. Es ist auf Steam kostenfrei zum Download erhältlich. Laut Steam-Seite wurde dieses “Spiel” seit Januar 2015 bereits 3.866 mal bewertet (ausgeglichen mit 60% positiven Bewertungen). Weitere Informationen dazu, gibt es auf der Wikipedia Seite zum "Spiel".

SPARX

SPARX (für Smart, Positive, Active, Realistic, X-factor thoughts) ist ein 3D-Fantasy RPG, das zur Therapie von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren mit diagnostizierter, leichter Depression in Neuseeland erfolgreich eingesetzt wird. Es kann als Mobile Game über den Google Play Store oder apple iTunes kostenfrei heruntergeladen oder plattformunabhängig mit dem Browser als Webanwendung genutzt werden - sofern man in Neuseeland wohnt. Leider ist eine Nutzung aus anderen Ländern bisher nicht möglich. Das Serious Game wurde 2012 erstmals vorgestellt und wird vom neuseeländischen Gesundheitsministerium finanziert, vermutlich ist deshalb auch der Zugang dementsprechend eingeschränkt. Das Interessante an SPARX ist, dass in einer klinischen Studie bereits belegt werden konnte, dass das Spiel bessere Therapieerfolge erzielte als eine konventionelle Psychotherapie. Bestandteil des Spiels sind kognitive Verhaltenstherapien und Entspannungsübungen. Um die Therapie komplett durchführen zu können, sind regelmäßige Besuche einer psychologischen Einrichtung notwendig, die ins Spiel integriert sind. Weitere Informationen gibt es auf der offiziellen Website: https://www.sparx.org.nz/

SuperBetter

SuperBetter ist ein Spiel, das darauf abzielt, die Resilienz zu erhöhen und die psychische Gesundheit von Jugendlichen zu fördern. Das Online Programm, das es auch als App gibt wurde in einer Studie mit einer Verringerung von Depressionssymptomen in Verbindung gebracht. https://superbetter.com/

Journey

Journey ist ein Spiel, das positive Emotionen fördert und Stress abbaut. Eine Studie fand heraus, dass Spieler nach dem Spielen von Journey ein erhöhtes Wohlbefinden berichteten

Zur allgemeinen Verhaltenstherapie ist mir folgendes Game bekannt:

Schatzsuche (Treasure Hunt) ist ein von der Universität Zürich entwickeltes verhaltenstherapeutisches Videospiel, das sich an 9- bis 13-jährige Kinder richtet. Es wird begleitend zu konventioneller Psychotherapie eingesetzt. Weitere Informationen gibt es auf der offiziellen Website: www.treasurehunt.uzh.ch/de.html 

Eine VR-Anwendung für Menschen mit Panikstörungen, Agoraphobie oder soziale Phobien

Das ist zwar kein wirkliches Spiel, ich möchte es aber dennoch nennen, da es immerhin einen originellen Ansatz hat wegen dem Einsatz der VR: Dies ist sogar eine sog. “DiGA” (Digitale Gesundheitsanwendung) auch als “App auf Rezept” bekannt: Invirto- Die Therapie gegen Angst. Der Vorteil einer solchen “DiGA” ist, dass sie von allen gesetzlichen Krankenkassen zu 100% erstattet wird, wenn eine geeignete Diagnose vorliegt. In diesem Fall erhält man sogar ein VR-Headset zur App dazu, das man sogar nach der Behandlung behalten darf. Es funktioniert in etwa wie das Samsung Gear VR oder ähnliche Headsets, bei denen Smartphones benötigt werden. Patient*innen werden dabei in der VR mit Situationen konfrontiert, die ihre Ängste auslösen. Diese werden sehr realistisch wie ein VR Film dargestellt. Die VR-Sessions werden mit regulärer Psychotherapie kombiniert und werden unterstützend eingesetzt.

Wichtig zu wissen ist, dass diese DiGA NICHT für Menschen mit Herzinsuffizienz, Depression, Schizophrenie und eine Reihe anderer psychischer Erkrankungen geeignet ist. Wenn euch das interessiert, sprecht am besten mit euren Therapeut*innen oder Ärzt*innen darüber. 

Nach dem kleinen Ausflug zum Status Quo in Sachen Mental Health: Nochmal zurück zu Hellblade

In Hellblade spielt man eine Protagonistin (Senua), die an einer Psychose leidet, die Halluzinationen hervorruft. Als Spieler*in erlebt man dadurch direkt, wie es sich anfühlt, an solch einer psychischen Erkrankung zu leiden. Wie schwer es ist, die Realität von Halluzination zu unterscheiden, wie man von anderen deshalb behandelt wird etc. Ständig hört man Stimmen um einen herum, die teilweise durcheinander reden, Senua kritisieren/beleidigen, die Handlung kommentieren, ihr Schuld zuweisen, mit ihren Komplexen spielen, irgendwelche religiösen Erfahrungen/Visionen aus Sicht von Senua darstellen oder die Stimmen brabbeln einfach irgendwas Wirres vor sich hin. Die Welt von Senua schweigt nie, ist immer in Aufruhr. Wie ein nie enden wollender Fiebertraum. Man sieht Dinge, die einen angreifen oder sonstiges, die aller Wahrscheinlichkeit nach nur im Kopf von Senua existieren. Spieler*innen wissen nie, ist das nun Teil der Welt oder nur eine Halluzination? Aber da selbst eine Halluzination “echten” Schaden anrichten kann, macht es für Spieler*innen zunächst keinen großen Unterschied. Die “Dämonen” - ob innerlich oder tatsächlich - müssen bekämpft werden. Dabei wirkt alles sehr immersiv, das Sounddesign ist grandios und entfaltet seine Wirkung natürlich am besten, wenn man gute Kopfhörer nutzt. Die Grafik kann selbst heute noch nach 7 Jahren als sehr gut angesehen werden. Die Animationen und Charakter-Performance, gerade der Protagonistin selbst, sind unfassbar gut gemacht - besonders eben wenn man bedenkt, wie alt das Game inzwischen ist.

Aber die Darstellung einer psychischen Erkrankung ist natürlich ein überaus sensibles Thema, insbesondere wenn man das alles bedenkt, was wir im Vorfeld dieses Artikels erfahren haben. Das ist aber auch den Entwickler*innen von Ninja Theory durchaus bewusst. Deshalb arbeiteten sie eng mit Prof. Paul Fletcher, Psychologe und Neurowissenschaftler der Universität von Cambridge, und einer Non-Profit Organisation "Wellcome Trust - mental health charity” zusammen. Auch wurden Menschen, die tatsächlich an einer solchen Psychose leiden, in die Entwicklung einbezogen.

Ninja Theory nahm damit die Verantwortung an und will mit dem Game bewusst mit Stigmata aufräumen und zum Thema Mental Health aufklären. Dadurch, dass Menschen nun quasi am eigenen Leib erfahren können, wie das ist, soll man mehr Empathie für Betroffene entwickeln können. Betroffene selbst sollen sich zumindest in Teilen verstanden und “gesehen” fühlen können. Das ist eine unglaubliche Leistung, was natürlich nicht unbelohnt bleibt.

Das Game wurde mehr als 6,3 Millionen Mal verkauft (plattformübergreifend) und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter auch einige der begehrten BAFTA Awards (z.B. Game Beyond Entertainment).

Eine Warnung sei dennoch ausgesprochen: Dadurch dass es sehr gut und realistisch umgesetzt wurde, kann das auch dazu führen eine vorhandene psychische Erkrankung zu verschlechtern, Dinge zu triggern, die den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können! Also: Vorsicht!

 

Mehr Informationen dazu wie Hellblade 1 entwickelt wurde - gerade im Hinblick auf “Mental Health” - erfahrt ihr in dieser offiziellen, von Ninja Theory veröffentlichten ca. 25 minütigen, englischsprachigen Dokumentation: “Senua's Psychosis | Mental Health Feature” https://www.youtube.com/watch?v=31PbCTS4Sq4 

Seit dem 10.05.2024 ist auch ein solches Feature zum demnächst erhältlichen zweiten Teil "Senua's Saga: Hellblade 2" verfügbar, das nochmal intensiver den psychologischen Aspekt hinter der Story und dem Character Senua beleuchtet und darauf ein geht, wie so eine Psychose funktioniert. Es kommen dabei auch zwei Betroffene zu Wort, die an einer ähnlichen Psychose leiden, wie Senua im Spiel. Ich fand es überaus spannend und kann es nur empfehlen, sich einmal anzusehen. Es wird dabei auch etwas auf die mentale Verfassung von Senua im zweiten Teil im Vergleich zum ersten eingegangen. ABER VORSICHT: Dieses Video enthält teilweise massive Spoiler zum ersten Teil! Also im Zweifelsfall erst schauen, wenn ihr den ersten Teil bereits abgeschlossen habt.

Und was ist mit dem kommenden Hellblade 2?

Senua soll jetzt zwar mental stabiler sein und diesmal mehr Optimismus und Selbstbestimmung mitbringen. Sie ist aber deshalb nicht von ihren Psychosen geheilt, sondern wird dennoch von ihren gewohnten Halluzinationen heimgesucht. Sie kann sich nun aber gegen sie zur Wehr setzen, entwickelt einen stärken eigenen Willen und mehr Selbstbewusstsein. Die Kämpfe sollen sich organischer und entschleunigt anfühlen. Man kann sich jetzt auf einen Gegner fokussieren und wird nicht wie im Vorgänger von allen Seiten gleichzeitig attackiert. Die Rätsel sollen im zweiten Teil abwechslungsreicher werden. Die Grafik soll nochmals stark verbessert sein, zum einen dank der sehr performanten Unreal Engine 5 (UE5), zum anderen aber auch, weil weite Teile Islands mittels Drohnen gescannt und die Ergebnisse mittels UE5 digitalisiert wurden. Dadurch ist ein bislang noch nicht in Spielen gesehenes Maß an Details möglich. Allerdings soll es zumindest zu Release nur mit 30 FPS laufen. Ob sich das mit der Zeit noch durch Patches etc. ändern kann (wie z.B. just bei Starfield), ist noch unklar.

 

Fazit und Schlussworte

Wir haben erfahren, dass zwischen 15 und 25 Millionen Menschen in Deutschland (ca. 22 - 37% der Bevölkerung) und ca. 3,4 Millionen Menschen in der Schweiz (38% der Bevölkerung) aktuell an Depressionen leiden. Und wenn man die Verlaufskurve seit 2019 betrachtet, wie schnell sich die Zahl der Betroffenen erhöht hat, ist davon auszugehen, dass es auch zukünftig immer mehr werden wird. Umso wichtiger ist es also geeignete Therapiemöglichkeiten zu kennen. Videospiele können, so zeigen es bereits einige Studien, eine Unterstützung der Therapie darstellen und tatsächlich Symptome einer depressiven Störung und anderer psychischer Erkrankungen wie z.B. posttraumatische Belastungsstörungen lindern. Es gibt auch etliche Spiele, die sich bereits verantwortungsvoll mit dem Thema Mental Health auseinandersetzen und damit Aufklärungsarbeit leisten und mit den immer noch stark vorherrschenden Stigmatas in der Bevölkerung aufräumen. Hellblade - sowohl 1 als auch 2 - ist dabei ein Vorzeigebeispiel bzw. "Leuchtturmprojekt", das zeigt, dass wenn Spieleentwickler mit Wissenschaftlern und Betroffenen eng zusammenarbeiten, kann selbst ein Videospiel, das die Qualität eines AAA-Titels hat, mehr sein, als nur Unterhaltung. Auch gibt es bereits Spiele, die tatsächlich in der Therapie eingesetzt werden.

Wir hoffen, dass euch der Artikel einen guten Einblick in mögliche Therapien mit Spielen oder gar in den therapeutischen Nutzen von Videospielen gewähren konnte. Vielleicht kann euch das bei eurer Erkrankung weiterhelfen oder bei einem eurer Bekannten oder Angehörigen. Bei allem gilt aber immer: Was dem einen hilft, muss nicht zwangsweise einem anderen genauso helfen. Psychische Erkrankungen sind sehr individuell und müssen genauso individuell behandelt werden. Sprecht in jedem Fall immer mit euren behandelnden Ärzt*innen oder Therapeut*innen! Dieser Artikel dient, genau wie jeder andere Inhalt dieser Website, lediglich zu Informationszwecken und ersetzt keine medizinische Beratung!

 

Weiterführende Informationen:

Autor*innen dieses Beitrags

Anne Striegel

Nur wer sein Herz und Geist für die Welt um sich herum öffnet, wird die wahre Schönheit darin entdecken.

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